Wie kann Vergebung der Karriere dienen?

Dr. Peter Schwarzer
Head Coach Business & Career Impact
Händedruck zweier abstrakter Hände aus Plastilin auf schwarzem Hintergrund
Inhaltsverzeichnis:
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Vergebung ist einer dieser seltenen Universalwerte, über die sich die meisten Menschen einig sind. Warum tun wir uns aber so schwer, anderen zu vergeben? Und wie kann sich Vergebung positiv auf deine Karriere, deinen Führungsstil und möglicherweise sogar dein Unternehmen auswirken?

Das Konzept der Vergebung überschreitet kulturelle, religiöse und philosophische Grenzen und ist nicht nur auf das Christentum beschränkt. Die sogenannten abrahamitischen Religionen (Christentum, Islam und Judentum) haben kein Monopol darauf, denn auch die Anhänger des Bahá'í-Glaubens, des Buddhismus, des Hindu-Dharma, des Jainismus, um nur einige andere Religionen zu nennen, sind sich der Vergebung bewusst. Selbst den Atheisten unter uns zeigt die Psychologie, wie wichtig es ist, anderen und sich selbst zu vergeben.

Im Folgenden schaue ich mir an, was Vergebung ist, warum es für uns wichtig ist, vergeben zu können und wie es sich auf unseren „Büroalltag“ auswirkt. Ich werde auch auf die Frage eingehen, was möglicherweise unverzeihlich ist sowie auf Trauma und Vergebung (Vergewaltigung, Missbrauch, Opfer von Völkermord, Krieg usw.).

Zunächst will ich aber einige Missverständnisse über Vergebung klären. Vergebung ist kein Zeichen von Schwäche. Vergebung ist keine Emotion. Und es geht längst nicht darum, jemand anderen vom Haken zu lassen – Vergeben und Vergessen ist schlichtweg nicht immer möglich. Vergebung ist vielmehr der Schlüssel zu unserer eigenen Heilung und wenn wir Heilung erfahren, profitieren wir davon. Das gilt auch für unser Berufsleben.

Vergebung ist kein Ausdruck von Schwäche

Was erfordert mehr Kraft, Groll zu hegen oder der Person, die uns Unrecht getan hat, aktiv zu vergeben? Wäre es nicht einfacher, nicht zu vergeben und sich Rachefantasien hinzugeben? Letzteres klingt auf jeden Fall reizvoller, aber es ist keine dauerhafte Lösung. Nicht zu vergeben macht uns unfrei, denn wir verpflichten uns einem Groll, einem Rachegedanken, oder sogar Hassgefühlen. Nichts davon ist ein positives Gefühl. Weder wird dies einen positiven Einfluss auf dich haben, noch darauf, wie deine Umgebung (Kollegen, Vorgesetzte usw.) dich wahrnehmen.

WIr tun uns Im Grunde selbst einen Gefallen, wenn wir anderen vergeben. Wir lassen buchstäblich alle diese negativen Emotionen los, weil wir uns selbst loslassen, nicht nur diejenigen, die uns Unrecht getan haben. Vergebung wird auch unser Narrativ über andere verändern, denn oft gibt es eine Erklärung dafür, warum sie uns so behandelt haben. Das ist keine Entschuldigung. Es sind Daten und Informationen und Information ist unser bestes Werkzeug, um die Rolle, die wir in der Beziehung mit der anderen Person spielen, zu verändern.

Stellen dir einen Kollegen vor, der die gesamte Schuld an einem fehlgeschlagenen Projekt auf dich abwälzt. Unabhängig davon, welche Rolle dieser Kollege während des Projekts hatte oder nicht, er oder sie war nicht in der Lage, seinen Teil der Verantwortung zu übernehmen. Dieses unkollegiale Verhalten könnte auf eine tief verwurzelte Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes zurückzuführen sein. Das rechtfertigt noch immer nicht die Handlungen und wird deinen Schmerz oder deine Enttäuschung nicht beseitigen. Das Wissen um die versteckte Angst des anderen hat jedoch das Potenzial, dass dein Verständnis für das Handeln dieser Person wächst. Damit stellt sich uns eine Herausforderung. Denn nun haben wir die Möglichkeit, diesem Kollegen zur Seite zu stehen, und das funktioniert am besten, wenn du dich dafür entscheidest, zu vergeben. Eine solche Vergebung beginnt oft damit, dass man der Partei, die dich verletzt oder negative Emotionen in dir hervorgerufen hat, erklärt, wie du dich fühlst. Das ist ein Akt der Stärke und der erste Schritt zur Transformation der Beziehung.

Vergebung ist kein warmes Gefühl

Um die Macht von Vergebung besser zu verstehen, ist es vielleicht hilfreich, Vergebung als eine Entscheidung zu sehen - eben kein kuscheliges Gefühl. Du entscheidest dich aktiv dafür, an einem Groll oder einer Verletzung festzuhalten. Die Entscheidung zu vergeben liegt auch bei dir und du kontrollierst ob du vergibst oder nicht. Ebenso ist es deine Entscheidung, ob du der Person vergibst, die sich proaktiv entschuldigt und um deine Vergebung bittet. Du kannst dich auch zur Vergebung entscheiden, wenn ein persönliches Treffen nicht möglich ist, selbst dann, wenn die Partei, die dir Unrecht getan hat, nie um Vergebung gebeten hat.

Seien wir ehrlich, manchmal merken andere nicht einmal, dass sie dich verletzt haben. Wann und wo immer möglich, ist es wichtig, darauf einzugehen, wie du dich gefühlt hast. Sich damit auseinanderzusetzen ist ein Teil der Heilung und kann Teil des Prozesses der Vergebung werden. Stell dir vor, deine Vorgesetzte oder dein Kollege hat nie gemerkt, dass das harte Wort während einer Teamsitzung in diesem Moment für dich verheerend war. Was wäre, wenn die andere Person sich sofort bei dir entschuldigt nachdem du sie daraufhin angesprochen hast? Beim Vergeben geht es um dich — nicht um die Person, die dich verletzt hat.

Das kann ein Prozess sein, denn jede erneute Besprechung mit dieser Person wird vermutlich Erinnerungen hervorrufen. Die Einladung ist, sich erneut für die Vergebung zu entscheiden, anstatt in der Ecke zu schmollen. Angenommen deine Vorgesetzte hat dir eine schlechte Leistungsbeurteilung gegeben und ihre Enttäuschung in einem harschen Ton zum Ausdruck gebracht. Stell dir nun die nächste Teambesprechung vor, bei der dein Schmerz und Enttäuschung sehr präsent sein werden. Du stehst vor der Wahl, dich auf vergangenes Verhalten zu konzentrieren, anstatt zu versuchen, einen Weg nach vorne zu suchen. Der Weg nach vorne kann sein, deiner Chefin ihre harten Worte zu verzeihen und dich darauf zu konzentrieren, deine Kollegen in der Teambesprechung zu unterstützen. Die Entscheidung ist damit zwischen einem konstruktiven Beitrag oder jeden im Raum (einschließlich dich selbst) zu bestrafen, indem du schmollst, passiv aggressiv bist, dich widersetzen oder einfach nur nervst.

Die Realität ist, dass die anderen Teammitglieder dein negatives Verhalten, das von nicht vergeben geprägt ist, so wahrnehmen wird. Auch wenn die Kollegen wissen, dass eure Vorgesetzte dir vielleicht Unrecht getan hat, möchten sie nicht, dass die Probleme zwischen dir und der anderen Person den Fortschritt des Teams negativ beeinflussen. Und es wird auch bei deiner nächsten Leistungsbeurteilung nicht helfen. Im Gegenteil, es kann sein, dass du am Ende eine ohnehin schon wackelige Meinung über die Qualität deiner Arbeit bestätigst.

Vergeben bedeutet, sich selbst herauszufordern

Verletzungen verursachen Schmerz. Wenn du verletzt wurdest, ist der Schmerz real für dich. Ignorieren ist nicht die Lösung. Vielmehr stehst du vor der Herausforderung, wie du mit diesem Schmerz umgehst.

Natürlich gibt es ein Spektrum, das von harter Kritik, unfreundlichen Vorgesetzten, intriganten Kollegen bis hin zu Mobbing und ungerechtfertigter Entlassung reicht. Sich für die Vergebung zu entscheiden, erfordert Stärke und diesen Schritt bewusst zu überdenken. Das Verhalten deiner Kollegen wird dadurch vielleicht nicht verändert, aber es wird dein Verhalten gegenüber deinen Kollegen verändern – und das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sie diese Veränderung registrieren. Dein Umfeld wird wahrscheinlich auch widerwillig bemerken, welche Kraft und welchen Mut Vergebung erfordert. Dein Umfeld wird ebenso bemerken, dass du die Kontrolle übernommen hast. Oder wie das alte Coaching-Tool sagt: Wie kann das Problem Teil der Lösung werden? Kann dein Schmerz zu einem Katalysator für positive Veränderungen werden, weil du dich für die Konfrontation und auch für die Vergebung entschieden hast?

Was ist mit den Dingen, die man nicht Vergeben kann?

Jemand wird jetzt fragen: Was ist mit Opfern von Vergewaltigungen oder Gewaltverbrechen oder mit Eltern, deren Kinder ermordet wurden? Was ist mit ganzen Nationen, die der Kolonialisierung, dem Holocaust, dem Krieg usw. zum Opfer fielen? Lass mich dich erneut herausfordern. Bezieht sich das wirklich auf dich oder versuchst du, deine eigene mangelnde Bereitschaft zur Vergebung zu rechtfertigen?

Wenn Dir ein Dritter Unrecht getan hat – sei es durch körperliche und/oder psychische Misshandlung, Vernachlässigung, ein Gewaltverbrechen, Krieg oder Mord – und ein unverzeihliches Verbrechen begangen hat, kann der Gedanke an Vergebung leicht undenkbar, ja sogar unzulässig scheinen.

Allem, was folgt, setzte ich folgendes voraus: für schwere Traumafällen brauchst du Hilfe und professionelle Unterstützung. Es ist auch wichtig hervorzuheben, dass es noch kein Urteil über die Wirkung von Vergebung in der Traumatherapie gibt. Es kommt auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten an. Meine Meinung ist folgende: Es ist möglich, Menschen zu vergeben, die schreckliche Verbrechen gegen einen begangen haben, solange wir verstehen, dass dies nicht bedeutet, dass sie vom Haken sind. Das bedeutet nicht, dass sie nicht mit den anderweitigen und rechtlichen Konsequenzen ihres Handelns rechnen müssen.

Ich teile diese Meinung vor dem Hintergrund vieler Beispiele, in denen Holocaust-Überlebende ihren Nazi-Peinigern vergeben konnten, Eltern den Mördern ihrer Kinder vergeben haben, Vergewaltigungsopfer ihren Vergewaltigern vergeben haben und Opfer terroristischer Gräueltaten den Terroristen vergeben haben. Diese Vergebung wurde in den Gerichtssälen kurz vor der Urteilsverkündung oder manchmal auch während der Strafe bereits im Gefängnis ausgesprochen. In einigen Fällen führte dies dazu, dass die beiden Parteien bei Sensibilisierungsprogrammen, Gefängnisreformen und ja, bis hin zu ersten Schritten zur nationalen Heilung zusammenarbeiteten – erinnerst du dich an die Wahrheits- und Versöhnungskommission im Südafrika nach der Apartheid?

Manchmal baten die Täter nicht um Vergebung, weil sie das, was sie getan hatten, nicht für falsch hielten. Für ihre Opfer war die Vergebung jedoch ein wichtiger Schritt, und sie entschieden sich, diesen Schritt zu tun. Ich erwähne schwerwiegende Dinge, die die Leute verzeihen konnten.

Warte nicht, bis sich eine schnippische Bemerkung in Mobbing verwandelt. Man kann Dinge frühzeitig ansprechen. Du kannst dich dafür entscheiden, frühzeitig zu vergeben. Und manchmal kann das eine tägliche Entscheidung sein. Es ist nicht einmal notwendig, dass der Täter seine Handlungen wiederholt. Eine bloße Erinnerung an diesen Schmerz reicht aus. Dann ist es die Einladung an dich, dich erneut für die Vergebung zu entscheiden.

Wenn du dich für Vergeben entscheidest, ist es deine Sache und keiner muss dir zustimmen

Ich möchte mit einer persönlichen Geschichte schließen, die vielleicht etwas Licht darauf wirft, dass die Entscheidung, zu vergeben, bei dir liegt – auch wenn es für Außenstehende keinen Sinn ergibt. Vor Jahrzehnten, als ich noch den Ehrgeiz hegte, verbeamteter Geschichtsprofessor zu werden, hatte ich einen Job in Großbritannien. Meine Aufgabe lag darin, eine permanente Holocaust-Ausstellung mit aufzubauen. Ja, als deutscher Historiker hatte man damals international in der Holocaust-Forschung die besten Chancen. Schließlich muss jemand in der Lage sein, all diese Nazi-Dokumente zu lesen.

Ein Teil der Arbeit erforderte viel Interaktion mit Holocaust-Überlebenden. Viele von ihnen hatten wenig Zeit für Nettigkeiten und neigten dazu, sehr direkt und überhaupt nicht gehemmt zu sein. Denn was könnte ihnen im Vergleich zu dem, was sie bereits durchgemacht hatten, schon passieren?

Wir waren auf einer Galaveranstaltung im Museum und plötzlich bemerkte ich, wie einer der Überlebenden mich in der Menge sah und festen Schrittes direkt auf mich zulief. „Ich hörte, dass Sie Deutscher sind“, sagte sie. Innerlich hielt ich die Luft an, denn ich hatte eine Ahnung, worauf diese Frage hinausführen würde. Und tatsächlich fuhr sie fort: „Gut, dann erklären Sie mir folgendes. Wie sehen Sie den Holocaust aus deutscher Sicht?“

Nach einer kurzen Pause antwortete ich: „Ich wurde 25 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geboren. Meine Generation ist also nicht für das verantwortlich, was passiert ist. Allerdings erkenne ich die Schuld der Generation meines Vaters und Großvaters an.“

Ich habe nicht um Vergebung gebeten und sie hat mir auch keine angeboten. Es war nicht nötig. Mit einem Anflug von Lächeln sagte sie: „Das ist alles, was ich hören wollte. Zumindest haben Sie nicht versucht, mir zu sagen, dass normale Menschen nichts hätten tun können.“

Die Geschichte endet hier nicht. Offensichtlich hat dieser kleine Austausch einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Ich vergab der Generation meines Vaters und meines Großvaters. Nicht für den Holocaust. Aber für die Verlegenheit, die ich als Deutscher an diesem Abend empfunden hatte, als mehrere Leute diesem Gespräch zuhörten. Das klingt vielleicht etwas extrem. Es hat mir jedoch bei meiner späteren Arbeit mit Holocaust-Überlebenden und ihren Nachkommen enorm geholfen, da ich als Deutscher nicht immer die beliebteste Person im Raum war.

Literatur

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