
Dr. Peter Schwarzer
Head Coach Business & Career Impact
Organisationen fahren DEI-Programme zurück, und ich sage (mit deutlicher Einschränkung): „Das ist auch gut so.“
Warum? Weil jetzt die Katze aus dem Sack ist und wir endlich wissen, welche Führungskräfte solche Initiativen wirklich unterstützt haben und welche nur Lippenbekenntnisse abgegeben haben. Infolgedessen äußern viele Mitarbeitende Ängste darüber, was diese Entwicklung für sie bedeutet. Mich interessiert, welche Chancen sich nun tatsächlich für ganze Organisationen und die Menschen, die in ihnen arbeiten, eröffnen, jetzt, da die Wahrheit ans Licht gekommen ist. Wie kann das Problem (der Rückzug von DEI) Teil der Lösung werden (Verbesserung der Unternehmenskultur)?
Die Liste der unternehmensinternen Awareness-Programme ist in den letzten Jahrzehnten deutlich gewachsen. Sie reagieren auf gesellschaftliche und demografische Veränderungen. Angestoßen durch die mediale Aufmerksamkeit rund um den Mut von Whistleblowern und/oder Bewegungen, die viral gehen – #MeToo zum Beispiel – zwingen sie Organisationen und Regierungen zur Auseinandersetzung. Die „medienwirksamen“ Fälle sind nur die Spitze des Eisbergs oder der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt und die Schleusen für andere öffnet, endlich ebenfalls hervorzutreten.
Es ist nicht so, dass es plötzlich mehr sexuelle Übergriffe oder Vorurteile gegen verschiedene Gruppen gegeben hätte. Im Gegenteil: Immer mehr Menschen fühlten sich endlich sicher oder ermutigt, über ihr eigenes Leiden zu sprechen, nicht zuletzt, weil sie erkannten, dass sie leider nicht die Ausnahme waren.
Um auf solche Themen aufmerksam zu machen, starteten Unternehmen verschiedene Programme. Eine schnelle Google-Suche liefert eine Vielzahl solcher Initiativen, darunter:
Und diese Liste berücksichtigt noch nicht einmal Programme wie Notfallvorsorge oder Compliance-Schulungen.
Wie jede starke Idee stoßen auch diese Programme auf Gegenwind. Dieser Backlash ist nicht neu. Kaum hatte Black Lives Matter nach Polizeigewalt an Fahrt aufgenommen, entstand Blue Lives Matter (blue bezieht sich auf die Farbe der Polizeiuniformen in den USA). Die #MeToo-Bewegung begann, toxische Männlichkeit zu thematisieren, und nun beklagen prominente Persönlichkeiten wie Metas Chef Mark Zuckerberg den Mangel an „maskuliner Energie“ und äußern Sorgen, die Unternehmenskultur werde „kastriert“. In manchen Ländern scheint das politische Klima diese Gegenbewegung zu begünstigen, was viele Menschen beunruhigt.
Während sie noch in der Opposition war, startete Deutschlands neue Regierungspartei eine Kampagne gegen NGOs. Im April stimmte das ungarische Parlament für eine Einschränkung der Pride-Parade. Die US-Regierung legt sich mit Bildungseinrichtungen an. Wenig überraschend liest sich ein schneller Blick in UN-Pressemitteilungen wie eine Liste von Rückschritten: Frauen fürchten den Verlust jahrzehntelanger Gleichstellungserfolge. Ethnische Minderheiten sind messbar mehr fremdenfeindlichen Angriffen ausgesetzt.
Die Gründe für den Backlash reichen vermutlich von aktiver Ablehnung durch rückständige Hardliner über Unwissenheit bis hin zu schlichter „Awareness-Müdigkeit“. Was ich diskutieren möchte, ist, wie man mit dem Rückbau dieser Programme in der eigenen Organisation umgeht. Denn im Hin und Her bleibt die Unternehmenskultur ein Thema. Der Begriff „toxische Arbeitskultur“ wird häufiger denn je gegoogelt.
Man sollte sich bewusst machen, warum solche Programme überhaupt eingeführt wurden. Auch wenn die gewählte Sprache scheinbar grundlegende menschliche Bedürfnisse wie physische und psychische Sicherheit, Fairness und Gleichheit anspricht, steht tatsächlich nicht das Wohl der Mitarbeitenden im Fokus. Was oft und fälschlicherweise unter dem Label „DEI“ zusammengefasst wird, muss in den größeren Diskurs um bessere Unternehmensleistung eingeordnet werden. Dann ergibt sich ein ganz anderes Bild: Der Fokus dieser Programme liegt nicht auf dem Wohlbefinden der Mitarbeitenden, sondern auf dem Wohl des Unternehmens – sprich: auf besserer Performance.
Zur Veranschaulichung möchte ich einen Punkt von Michel Foucault*, dem französischen Philosophen und Paten der Diskurstheorie, hervorheben. In „Überwachen und Strafen“ schreibt er, dass die Abschaffung der Folter und der parallele Ausbau von Gefängnissen nicht erfolgten, weil Strafen humaner werden sollten. Im Gegenteil: Diese Transformation hatte nur ein Ziel – Strafen effizienter zu machen. Das Konzept der Strafe wurde nie infrage gestellt.
Ebenso wenig wird das Konzept der verbesserten Unternehmensleistung und damit des Profits infrage gestellt. Zynisch betrachtet tun Unternehmen alles, um das Betriebsergebnis zu verbessern – und wenn das mentale Gesundheit, DEI, Anti-Burnout-Initiativen oder das Hissen der LGTBQ+-Flagge im Pride Month bedeutet, dann tun sie das. Nicht, um die Mitarbeitenden zufriedener zu machen. Dieser Faktor zählt nur, weil er sich in verbesserter individueller Leistung niederschlagen kann, was wiederum der Unternehmensleistung zugutekommt.
Aber bewirkt DEI das wirklich? Offenbar steht das Urteil noch aus, denn die Ergebnisse sind gemischt. Die Liste potenzieller, durch Forschung gestützter Vorteile ist beeindruckend. Solche Programme führen etwa zu mehr Engagement, Zufriedenheit und Zugehörigkeitsgefühl bei Mitarbeitenden. Außerdem kann eine vielfältige Belegschaft ein breiteres Spektrum an Perspektiven und Erfahrungen einbringen, was potenziell zu innovativeren Lösungen und Ideen führt, diverse Talente anzieht und hält und so neue Märkte und Kundengruppen erschließt. Einige Studien deuten auch darauf hin, dass Unternehmen mit diversen Führungsteams und Aufsichtsräten besser abschneiden als solche mit weniger Diversität... Wenn das überall so wäre, warum sollte irgendeine Organisation gegen diese Programme vorgehen?
Zum einen ist es schwierig, den tatsächlichen Einfluss von DEI-Programmen zu messen, was die Bewertung ihrer Wirksamkeit erschwert.
Manchmal sind die Gründe für den Widerstand einfach: Manche DEI-Initiativen stoßen auf Ablehnung bei Mitarbeitenden, die sich bedroht fühlen oder sie als umgekehrte Diskriminierung wahrnehmen. Man denke an den sprichwörtlichen alten weißen Mann, der um seine nächste Beförderung fürchtet, weil der Job an eine „Diversity-Kandidatin“ geht, nur weil diese nicht männlich, nicht weiß und nicht alt ist.
Bedenklich ist zudem, dass bestimmte DEI-Trainingsmethoden unbeabsichtigt Stereotype verstärken oder Vorurteile erhöhen können.
Setzt man etwa Führungskräfte aus verschiedenen europäischen Ländern zusammen, um über ihr Zeitverständnis zu diskutieren, kann bei ungeschickter Moderation schnell eine deutsch-schweizerische Allianz gegen Kollegen mit anderem kulturellem Ansatz entstehen oder sich verfestigen. Manche argumentieren, dass die reine Fokussierung auf Repräsentation (z. B. mehr Frauen oder Minderheiten in Führungspositionen) ohne Berücksichtigung von Inklusion kontraproduktiv sein kann. Unbeabsichtigte Folgen können eine erhöhte Fluktuation oder geringere Arbeitszufriedenheit in bestimmten Gruppen sein.
Eine große Frage ist, ob diese Programme richtig umgesetzt werden oder ob es an starker Unterstützung durch die Führung mangelt. Eine Pew-Studie von 2023 fasst das Paradox rund um DEI-Programme treffend zusammen:
„Eine Mehrheit der US-Arbeitnehmer sagt, der Fokus auf DEI am Arbeitsplatz sei gut, aber nur relativ wenige messen der Vielfalt in ihrem eigenen Unternehmen große Bedeutung bei.“**
Aber was bedeutet das alles für dich? Angenommen, dein Unternehmen hat beschlossen, diese Programme einzustellen. Wie wird sich das wirklich auf dich auswirken? Eine Möglichkeit, die Frage zu beantworten, ist zu reflektieren, ob du persönlich von einem dieser Programme profitiert hast.
Wenn du beispielsweise einer ethnischen oder sexuellen Minderheit am Arbeitsplatz angehörst – hat deine Karriere tatsächlich von DEI oder ähnlichen Programmen profitiert? Falls ja, wie groß ist die Gefahr, dass deine Karriere nun ins Stocken gerät? Natürlich gibt es die berechtigte Angst, dass aufgestauter Sexismus oder Rassismus wieder auflebt. Wie wahrscheinlich hältst du das in deinem Umfeld? Das Schwierige an dieser Frage ist, einen rationalen Zugang zu einem hoch emotionalen Thema zu finden.
Das erfordert eine kritische Überprüfung der Organisation und deiner eigenen Position darin. Es erfordert das, was Psychologen als „radikale Akzeptanz“ der Situation bezeichnen. Das heißt: Sich zu beschweren oder zu sagen „so sollte es nicht sein“ hilft nicht weiter. Wo Menschen sind, gibt es Politik und Konflikte. Man denke nur an den Bericht von 2019 über weit verbreitetes Mobbing und toxische Kultur bei Amnesty International.
Wenn deine Karriere nie von solchen Programmen profitiert hat und deine Leistung vergleichbar mit der von Menschen ist, die aufgestiegen sind – was wird sich für dich ändern, wenn die Führung nun offiziell macht, dass ihr diese Programme ohnehin nie wichtig waren? Das ist eine grundlegende Frage, denn du weißt, ob dein Unternehmen diese Programme nur als Feigenblatt hatte.
Was wir ändern können, ist unser eigener Ansatz. Kannst du offen über deine Ängste als trans Person in deinem Unternehmen sprechen? Wenn nicht, was oder wer macht es dir schwer und wie kannst du diese Situation oder Person ansprechen, um ins Gespräch zu kommen, statt dich zurückzuziehen?
Ich teile hier eine wirklich peinliche Geschichte, um die Bedeutung des Engagements zugunsten der „Mehrheit“ in deinem Unternehmen zu verdeutlichen. Das führt uns zurück in die Mitte der 1990er Jahre, eine Zeit vor DEI oder einer breiten Diskussion über unbewusste Vorurteile.
Ich war auf einem Junggesellenabschied in den USA und kam mit einer Person asiatischer Herkunft ins Gespräch. Als weißer Deutscher, aufgewachsen in einer Zeit, in der die deutsche Staatsbürgerschaft noch durch Abstammung und nicht durch Geburt definiert war, stellte ich die Killerfrage: „Woher kommst du?“ Er antwortete: „Ich bin Amerikaner.“ Das hätte das Ende sein sollen, denn es war schon schlimm genug, aber ich legte noch nach: „Du siehst nicht amerikanisch aus.“
Es ist dem Mann hoch anzurechnen, dass er ruhig blieb, er lächelte und sagte einfach: „Nun, ich bin es.“ Da begann es zu dämmern. Abgesehen von meinem Wunsch, dass sich der Boden auftut und mich verschluckt, veränderte die Reaktion des Mannes meine eigene Sensibilität für solche Situationen. Ich bin auch heute immer noch neugierig auf die Hintergründe von Menschen und lebe inzwischen in New York City, wo ich viel mehr Vielfalt begegne als in vielen anderen Städten. Das heißt aber auch, dass ich gelernt habe, diese Neugier anders auszudrücken.
Wir alle sind Teil der Unternehmenskultur, und wenn dazu Wachsamkeit gehört, müssen wir wachsam bleiben. Coaching kann helfen, die eigene Rolle zu erkennen, dich bei Herausforderungen zu unterstützen und Strategien zu entwickeln, die zu deiner speziellen Situation und deiner Rolle im Unternehmen passen, für das du arbeitest.
*Michel Foucault, Überwachen und Strafen – die Geburt des Gefängnisses, Suhrkamp Verlag, ISBN 978-3-518-38771-9
** R. Minkin, Diversity, Equity and Inclusion in the Workplace, Pew Research Center Report, Mai 2023.
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