Dr. Peter Schwarzer
Head Coach Business & Career Impact
Führungskräfte treffen die besten Entscheidungen, wenn diese auf zuverlässigen Informationen, fundierten Ratschlägen ihrer Vorstände und Experten beruhen. Das ist die Theorie. Verlässliche Informationen in Form guter Daten zu erhalten, ist oft überraschend einfach. Viele Organisationen können für eine gute Beratung auch auf interne und externe Experten zurückgreifen. Das Problem besteht darin, dass nicht selten Ego und internes politisches Gerangel mit den Aussagen von Daten und Experten in Konflikt geraten.
Aus diesem Grund wäre es womöglich keine schlechte Idee, wenn Unternehmen die Einstellung eines Hofnarren erwägen würden oder, auf Neudeutsch gesagt, einen CCJ (Chief Court Jester) an Bord holen würden.
Da diese Position aber bekanntlich in Organigrammen nicht existiert, gibt es eine andere Lösung: Ein Coach!
Lasst mich erklären, warum das so ist.
Die Unternehmenslandschaft ist übersät mit Beispielen von Fehlentscheidungen, die von Egos und interner Politik getrieben werden. Der Grund, warum viele beispielsweise nichts mehr von Blockbuster gehört haben, liegt darin, dass der ehemalige König der Videoverleihbranche im Jahr 2000 von seiner dominanten Marktposition so überzeugt war, dass er ein Angebot des damals noch jungen Newcomers Netflix zur Zusammenarbeit ablehnte.
Oder: Die Daimler-Chrysler-Fusion im Jahr 1998 ist zu einem Paradebeispiel dafür geworden, wie mangelnde kulturelle Kompatibilität und mangelnde Flexibilität eine potenziell starke Konsolidierung ruinieren können. Die Deutschen dachten, sie wüssten alles besser. Die Amerikaner waren frustriert darüber, wie Hierarchien den Entscheidungsprozess lähmten, und wurden ungeduldig.
In vielen Fällen sind schlechte Entscheidungen nicht das Ergebnis von mangelnder Information und Fachwissen, sondern Cliquendenken, der Angst, den Mächtigen im Unternehmen die Wahrheit zu sagen, Verweigerung der Wahrheit ins Auge zu schauen und anderem menschlichen Versagen. Die Vorstandsmitglieder wollen das Boot nicht ins Wanken bringen. Direkt unterstellte Mitarbeiter haben möglicherweise zu große Angst um ihre Karriere (und das Schicksal vieler Whistleblower bestätigt, dass ihre Befürchtungen nicht ganz unberechtigt sind). Dadurch entsteht eine toxische Dynamik, durch die eine nach außen gerichtete Zustimmung zu allem, was der CEO sagt, belohnt wird, während kritische Stimmen zum Schweigen gebracht und an den Rand des Unternehmenssibiriens gedrängt werden.
Wie bringt man also einflussreiche Führungskräfte dazu, offen für echten Input zu werden?
Historisch gesehen bestand die Aufgabe des Hofnarren darin, den Herrscher zu unterhalten. In ihrem Buch „Fools Are Everywhere.“* beschreibt B. Otto, dass Narren die unterschiedlichsten Hintergründe hatten: oft waren sie Studienabbrecher, Mönche, die aus einem Priorat geworfen wurden, außergewöhnlich begabte Jongleure oder einfach nur Menschen mit Komiker-Talent, die zufällig auf den richtigen Edelmann zur richtigen Zeit trafen. Die Rekrutierung war informell und meritokratisch. Das Besondere war, dass Narren das Recht hatten, mit ihrem Herrn am Tisch zu sitzen und zu sagen, was ihnen in den Sinn kam.
Wie weit sie gingen, ist immer noch Gegenstand historischer Debatten. Es besteht Einigkeit darüber, dass in den meisten Fällen der Wunsch, weiterhin beschäftigt zu bleiben – und nicht hingerichtet zu werden – den Anteil an Wahrheit, die sie den Mächtigen sagen konnten, begrenzte. Dennoch machte sich der Narr häufig über die herrschende Elite lustig und war oft in der Lage, den Finger in die Wunde zu legen. Wenn wir nun vom mittelalterlichen Hof auf das Unternehmen der Neuzeit schwingen, was macht einen modernen Coach dann zu einem geeigneten Ersatz für einen Hofnarren oder Clown?
Stellen wir uns zunächst einmal dem Elefanten im Raum: Manche Zyniker halten die Gilde der Coaches ohnehin für eine Ansammlung von Clowns. Eine in ihrer positiven Wirkung unterschätzte Eigenschaft von Clowns ist jedoch, dass sie keine Bedrohung darstellen. Coaches stellen Fragen und helfen ihren Klienten, den Dingen auf den Grund zu gehen und andere Sichtweisen zu ermöglichen, die die Wahrheit ans Licht zu bringen. Unsere Aufgabe besteht nicht darin, bloßzustellen, sondern einen sicheren Raum zu schaffen und dabei zu helfen, aufzudecken, was unter der Oberfläche vor sich geht. Bloßstellung hat immer ein Element von Verurteilung und Gefälle. Narren mit dem Wunsch am Leben zu bleiben, waren immer dann am besten, wenn sie antraten, spielerisch Dinge aufzudecken. Wenn Coaches Klienten dabei helfen, Dinge aufzudecken, tun sie dies nicht, um zu urteilen oder sich als die besseren darzustellen, sondern um den Menschen eine Transformation zu ermöglichen. Diese Arbeit ist zukunfts- und lösungsorientiert. Reines Bloßstellen schafft Resistenz und bleibt in der Vergangenheit stecken.
Interessanterweise führt die Entdeckungs- und Offenbarungsreise oft dazu, dass Menschen Dinge über sich selbst akzeptieren, die ihre Umgebung schon lange wusste, sich aber nicht zu sagen traute. Im Wesentlichen lernen wir uns selbst kennen und unser Selbstbild mit dem Fremdbild zu harmonisieren. Ein Hofnarr/Coach unterstützt uns dabei, uns selbst kennenzulernen, was laut Thales von Milet** eines der schwierigsten Dinge für den Menschen ist.
Folgende grundlegende Wahrheit ist für manche eine überraschende Offenbarung: Selbst die mächtigsten Führungskräfte sind nur Menschen. Und ein Teil der Wahrheit über unsere Menschlichkeit ist unsere Unvollkommenheit. Ein toxisches Umfeld verweigert Führungskräften jedoch oft, ihre Menschlichkeit anzuerkennen. Die Versuchung für die Topmanager besteht dann darin, der Illusion der Perfektion zu folgen. Die Mitarbeiter unterstützen sie darin -- aus Angst.
Ein gutes und qualifiziertes Coaching ermöglicht es, den Mächtigen die Wahrheit zu sagen, ohne zu urteilen und eigennützige Absichten zu verfolgen. Das bedeutet auch, dass ein guter Coach keine Bedrohung für andere Personen in der Organisation darstellt. Mehr als ein Hofnarr können Coaches nur dann effektiv sein, wenn sie die Grundregel der Zusammenarbeit mit einem Klienten befolgen, die da lautet: keinesfalls selbst Teil des Systems zu werden. Nur von außerhalb des Systems können Coaches der Führungsebene wirklich die Wahrheit sagen. Zum Glück für uns Coaches kann heutzutage niemand mehr eine schnelle Enthauptung anordnen. Das Schlimmste, was uns passieren kann, ist eine Audkündigung der Zsammenarbeit.
Was haben Coaches und Hofnarren sonst noch gemeinsam? Ebenso wie die Hofnarren der Sagen haben auch Coaches die unterschiedlichsten Hintergründe. Während viele von uns nicht unbedingt Studienabbrecher oder soziale Außenseiter sind, sind wir in gewisser Weise das Äquivalent des Mönchs oder der Nonne, die ihr/sein Kloster verlassen haben, weil sie gemerkt haben, dass es doch nicht ihr Ding ist – oder weil ihnen nachdrücklich nahegelegt wurde, besser ihren Hut zu nehmen. Heute bezeichnen wir das als berufliche Veränderung. Das bedeutet, dass wir nicht nur unsere umfassende Erfahrung aus unserer Coachausbildung und unserem Zertifizierungsprozess nutzen, sondern auch die aus unseren Karrieren. Diese können vom Management in Unternehmen, über Positionen beim Militär, in NGOs bis hin zu Lehr-, Heil- oder Handwerksberufen reichen.
Und in diesem Zusammenhang ist es wichtig, mit einem weit verbreiteten Missverständnis aufzuräumen, nämlich dem, dass, sagen wir, die Chef:innen einer Bank nur von Coaches mit dem gleichen Branchenhintergrund oder der gleichen CEO Erfahrung richtig gecoacht werden können. Die Rolle unserer Klientin:innen und die Branche der Organisation sind nur zwei Faktoren auf einer viel längeren Liste gleich wichtiger Variablen, die systemisches Coaching berücksichtigt. Tatsächlich schränkt das Beharren auf dem gleichen Hintergrund und den gleichen Branchenkenntnissen die Coaching-Erfahrung ein, gerade weil zu viel Vertrautheit die Fragen, Assoziationen und Möglichkeiten des Coachs, Ideen zu prüfen, einschränken kann. Nicht selten besteht sogar die Gefahr, dass aus dem Coaching eine Beratung wird und es damit nicht nur seinen Zweck verfehlt, sondern auch weniger effektiv wird.
Ich kann die Erfahrung eines CFO eines in Schwierigkeiten geratenen Sportunternehmens nicht so nachvollziehen, wie es vielleicht der/die CFO eines anderen Sportunternehmens könnte. Ich bin alles andere als ein Mathegenie und interessiere mich nicht besonders für Sport. Aber ich war mit existenziellen Bedrohungen konfrontiert, ich bin ein Einwanderer, der Sohn eines Flüchtlings, mit einem Ehepartner mit einem anderen ethnischen Hintergrund verheiratet, habe eine Abteilung und Mitarbeiter:innen gemanaget, bin von Kontinent zu Kontinent gezogen, habe drei Kinder großgezogen, habe Beratungsdienste sowohl für kleine Unternehmen als auch für Fortune 50 Unternehmen geleistet, als Historiker in Museen und Unis gearbeitet und war im Journalismus usw. usw. tätig.
Ich „kann“ stetige Veränderung und ambivalente Umstände. Ich lebe Vielfalt in meinem eigenen Haus und bin Feedback gewohnt. Dennoch kann ich dem/der CFO unseres angeschlagenen Sportunternehmens nicht sagen, wie er/sie einen finanziellen Absturz verhindern kann. Aber das ist nicht meine Aufgabe als Coach. Das macht ein Finanzberater oder ein Mentor.
Aber als Coach kann ich den/die CFO und die Organisation dabei unterstützen, die Herausforderungen für das Unternehmen, die Auswirkungen auf die Rollen der Menschen und die Konsequenzen für die einzelnen Personen, die diese Rollen erfüllen, zu bewältigen. Womöglich gelingt es mir auch „eine Mauer in seinem/ihrem Kopf“ beiseitezuschieben, so dass er/sie plötzlich neue Lösungswege erkennen kann. Coaches verbinden die Gesamtheit ihrer Erfahrungen mit ihrer Ausbildung und nutzen diese Power-Kombi, um die Transformation von Organisationen und den Menschen, die Teil dieser Organisationen sind, zu erleichtern. Das geht weit über die Bilanz- und Cashflow-Probleme unseres imaginären Sportunternehmens hinaus. Die konkreten finanziellen Auswirkungen des Coachings können darin bestehen, eine erforderliche organisatorische Transformation nachhaltig zu gestalten, um den anhaltenden Erfolg des Unternehmens sicherzustellen.
Organisationen und ihre Führungskräfte profitieren enorm von Erkenntnissen, Feedback und Perspektiven, die von jemandem geteilt werden, der außerhalb ihres Systems und ihrer Denkprozesse steht. Die Wahrheit ans Licht zu bringen ist schwer, aber der potenzielle Aufschwung kann über den Erfolg oder Misserfolg einer Führungskraft und der Organisation entscheiden. Vor diesem Hintergrund macht es mir nichts aus, als Clown wahrgenommen zu werden. Die Realität ist, dass ich als zertifizierter systemischer Coach einer stolzen Tradition folge. Am Ende zählen die Ergebnisse, egal wie man mich nennt
* https://press.uchicago.edu/ucp/books/book/chicago/F/bo3615397.html
** https://de.wikipedia.org/wiki/Thales; Die Inschrift „Erkenne Dich selbst“ über dem Eingang zum Orakel von Delphi wird ihm zugeschrieben
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