Dr. Cristina Barth Frazzetta
Co-Founder, COO & Head Coach Life Orientation & Navigation
Resilienz bezeichnet die psychische Fähigkeit nach einer Krise wieder in den Ursprungszustand zurückzuspringen und aus dieser zu wachsen. Menschen haben verschieden ausgeprägte Resilienzfähigkeiten. Die gute Nachricht ist: Resilienz kann trainiert werden. Wie das geht und wie genau dir ein Coaching dabei helfen kann, erfährst du hier.
„Resilienz ist die Fähigkeit, tatsächliche oder potenziell widrige Ereignisse abzuwehren, sich darauf vorzubereiten, sie einzukalkulieren, sie zu verkraften, sich davon zu erholen und sich ihnen immer erfolgreicher anzupassen. Widrige Ereignisse sind menschlich, technisch sowie natürlich verursachte Katastrophen oder Veränderungsprozesse, die katastrophale Folgen haben.“
Dieses Zitat stammt erstaunlicher Weise aus dem Technik-Bereich und bezieht sich also auf künstliche Systeme. Bei deren Konstruktion ist es wichtig darauf zu achten, dass sie auch dann, wenn äußere Einflüsse zerstörerische Auswirkungen haben, nicht komplett versagen. Als Beispiel werden gern Flugzeuge angeführt. Bei ihnen besteht die Sicherung der Resilienz in der Redundanzkonstruktion, nämlich dem Vorhandensein mehrerer Triebwerke, obwohl zum Fliegen an sich auch ein einziges reichen würde.
Resilienz wird aber auch in der Psychologie in Bezug auf den Menschen schon seit 1960ger Jahren erforscht – doch bevor ich darauf näher eingehe, möchte ich noch eine interessante Beobachtung teilen:
Mir ist aufgefallen, dass der Begriff Resilienz in der Arbeitswelt seit mehreren Jahren plötzlich in den Führungskreisen der Unternehmen Konjunktur hat. Zeitgleich mit seinem Auftauchen geht die Forderung nach noch mehr Effizienzsteigerung in den Arbeitsprozessen (Stichworte: Arbeitsverdichtung / Arbeitsbeschleunigung) einher.
Diese Entwicklung erhöht ganz konkret den Druck auf die arbeitende Bevölkerung, denn anstatt Redundanzen zuzulassen, wie es bei dem Bau von Flugzeugen geschieht, lädt sie immer mehr Last auf einzelne Menschen. Wäre es da nicht schön, wenn alle ordentlich an ihrer Resilienz gegenüber Stress arbeiten und diese so sehr steigern würden, dass das schier Unmögliche doch noch erreicht werden kann?
Schließlich ist auch die Fähigkeit zur Adaptation ein wichtiger Bestandteil von Resilienz! Stimmt schon und im technischen Bereich wird sie deshalb bei Systemen, die sich stark verändernden Außenanforderungen ausgesetzt sind, vorprogrammiert. Zum Beispiel - wenn wir beim Fliegen bleiben – bei einem Überschall-Flugzeug, das mit der Erhöhung der Geschwindigkeit auf „Mach“ ganz anderen Kräften standhalten muss.
Sicher merkst du schon, weshalb ich diese technischen Beispiele heranziehe, nicht wahr? Fraglos ist es grundsätzlich richtig, dass wir unsere Resilienz ausbauen und auch die Adaptationsfähigkeit ist bei uns Menschen wichtig und möglich.
Was mir aber an der Übertragung der technischen Konzepte auf den Menschen nicht gefällt, ist die leise mitschwingende Unterstellung, dass es an den Betroffenen selbst läge, wenn sie einem bestimmten äußeren Druck nicht standhalten, so als hätten sie einfach nur nicht genug an sich gearbeitet.
Menschen sind individuell verschieden und können nicht wie technische Systeme genau berechnet und vorgeplant werden. Zwar ist auch unser Körper ein (bei uns allen mehr oder weniger gleich angelegtes) System mit Untersystemen, den Organen, die interagieren und funktionieren müssen, aber deren Belastbarkeit und Anfälligkeit sind dennoch individuell sehr unterschiedlich.
Jeder Mensch kann und sollte an seiner persönlichen Resilienz arbeiten und diese um seiner Selbst willen auf ein persönliches Höchstmaß steigern. Das ist sinnvoll und förderlich für Wohlbefinden und Vitalität. Es hilft uns mit Widrigkeiten besser zurecht zu kommen und sie lösungsorientiert anzugehen.
Eine Norm sollte jedoch nicht ausgerufen werden. Deshalb solltest du dir am Anfang Deines Trainings zur Stärkung deiner persönlichen Resilienz auch ganz persönliche Fragen stellen:
Diese Fragen zielen auf einen wichtigen, vielleicht den wichtigsten Baustein der Resilienz ab, nämlich den der Selbstakzeptanz oder anders gesagt des Selbst-Mitgefühls.
Erst dann schau dir die einzelnen Bereiche an, auf denen Resilienz zusätzlich basiert und analysiere deinen Status quo, also die Situation, in der du dich jeweils befindest.
Resilienz beruht auf einer Reihe verschiedener Bausteine und Schutzfaktoren. Häufig werden die folgenden sieben Bausteine (auch sieben Säulen der Resilienz)angeführt:
Frag dich selbst und vielleicht auch noch eine oder zwei vertraute Personen, inwieweit diese Bausteine bei dir stabil genug sind. Du kannst dich dazu zum Beispiel fragen, wie hoch der jeweilige Bereich auf einer Skala von 0 – 10 (0= überhaupt nicht; 10= voll und ganz) punktet und das dann mit der Skalierung deiner beiden Feedbackgeber vergleichen. So erfährst du auch gleich, ob du dich selbst genauso einschätzt, wie andere das tun und kannst dich mit ihnen darüber austauschen. Wenn du dann feststellst, dass einer oder mehrere Bereiche bei dir zu niedrig punkten, dann ist es wichtig, dass du dich fragst woran das liegt, bevor du in die Übung eines neuen Verhaltens einsteigst.
Denn frühe Forschungen (z.B. Emmy Werner) zum Thema Resilienz haben gezeigt, dass die Basis von Resilienz im frühen Kindesalter gelegt wird. Daher lohnt sich ein kurzer Blick auf früh erlernte Überzeugungen. Mal angenommen, dein Optimismus ist nicht sonderlich ausgeprägt und du ertappst dich oft bei der gedanklichen Vorwegnahme von Katastrophen-Szenarien „Bestimmt wird das und das passieren oder das und das nicht klappen“, dann hilft es nur selten und meist nicht nachhaltig, wenn du sofort beginnst kraftvolle, rosige Bilder von der zukünftigen Entwicklung zu visualisieren. Das kommt zwar später noch, aber vorher ist es wichtig, dem Ursprung deiner eher negativen Vorstellungen auf die Spur zu kommen.
Früh eingeübte Überzeugungen und Glaubenssätze sind nichts Schlechtes, sie sollen uns vor irgendetwas schützen und helfen uns, dafür bestimmte Stärken aufzubauen. Allerdings haben sie auch einen Nebeneffekt: Sie scheinen uns unabänderlich und für unser Überleben absolut unerlässlich und da sie unbewusst wirken, entziehen sie sich unserer reflektierten Wahrnehmung.
Bei wenig ausgeprägtem Optimismus könnte so ein Glaubenssatz heißen:
„Wenn ich erst einmal das Schlimmste annehme, bin ich immer auf der sicheren Seite!“ – und da ist ja was dran: Diese Einstellung macht vorsichtig und vorsorgend, aber sie ist eben auch belastend und kann übervorsichtig und risikoavers machen. Deshalb wäre es von Vorteil einen neuen, zusätzlichen Glaubenssatz zu etablieren, der mehr Leichtigkeit und Zuversicht zulässt.
Coaching kann dich bei diesem persönlichen Erkenntnis- und Veränderungs-Prozess unterstützen, indem es Perspektivenwechsel und Einstellungsänderungen bewirkt, die zur Steigerung deiner Resilienz führen. Es regt auch zu mentalen und/oder physischen Übungen an, die die neuen Erkenntnisse ankern und ein neues Verhalten etablieren.
Lass mich dies an einem Beispiel aus einer meiner Coachinggruppen verdeutlichen:
Eine junge Senior Product Managerin im Marketing schilderte, dass sie in ihrer jetzigen Position immer wieder an die Grenzen des für sie Machbaren stoße. Und das obwohl sie, auch nach der Meinung anderer, sehr verlässlich und schnell und obendrein ziemlich perfekt im Erledigen von Aufgaben sei. Ich gab ihr die Aufgabe mit, die Skalierungsfragen zu den Resilienz-Bausteinen selbst zu beantworten und durch zwei Außenstehende beantworten zu lassen. Ihr Score beim Baustein „Verantwortung übernehmen“ lag bei 10 (selbst) und bei 10+ (fremd). Wir fanden heraus, dass sie diese Stärke entwickelt hat, weil sie dem Glaubenssatz folgt: „Nur wenn ich alles selbst mache, wird es wirklich gut!“
Dabei sei an dieser Stelle zu erwähnen, dass die junge Frau gleichzeitig von der Konstitution her eher zart war. Sie schilderte, dass sich der Druck im Unternehmen in letzter Zeit massiv erhöht habe. Als ihr die Gruppe zurückspiegelte, dass sie offenbar ständig versuche, die Situation mit ihrer Stärke des „perfekten Selbstmachens“ zu beherrschen, fand sie das völlig normal und erkannte gar keine andere Möglichkeit.
Es ist von außen leicht zu erkennen, dass dies in einer Überforderung enden musste. Im Coaching-Prozess wurde der Blick auf diesen blinden Fleck freigelegt, was bei ihr ein heftiges Erstaunen begleitet von ein paar Tränen auslöste. Erst dann spürte sie, dass sie einem Muster folgte und öffnete sich für neue Handlungsoptionen. Und erst dann konnten wir einen Perspektivenwechsel vornehmen, um einen neuen zusätzlichen Glaubenssatz entwickeln. Wir fanden schließlich folgenden Satz heraus: „Wenn ich mit den richtigen Leuten zusammenarbeite, wird es noch besser und mir geht es obendrein gut“.
Das neue Verhalten musste dann erst einmal vom Gehirn akzeptiert werden, denn es reicht nicht, „ zu verstehen, zu fühlen und Commitment mit sich selbst einzugehen“, vielmehr braucht es auch engmaschiges, bewusstes Üben, damit das alte Erfolgsmuster situativ losgelassen werden kann.
Dass dies funktioniert, hat die spätere Forschung (z.B. Aaron Antonovsky) ergeben, die besagt, dass sich unsere Resilienz in jedem Lebensalter trainieren und ausbauen lässt.
Dazu braucht die zarte Product Managerin mit der Meisterschaft im selbst Verantwortung übernehmen also noch eine zeitlang tägliche individuelle Übungen, die sie „zwangen“ Erfahrungen mit dem neuen Verhalten zu sammeln. Erst dadurch wurde es möglich, den neuen Glaubenssatz mit in die Routine-Programme ihres Gehirns aufzunehmen und neue Lösungswege zu implementieren. Anfangs haben wir mit einer Übertreibung gearbeitet:
„Bei allem, was ich anpacke, hole ich mir mindestens einen zusätzlichen Rat ein!“
Abends vor dem Einschlafen sollte sie dann eine kleine Sammlung der positiven Erfahrungen, die das mit sich brachte, erstellen. Da meine Coachee, wie gesagt, konstitutionell eher zart war, hat sie sich mit Unterstützung der Gruppe noch eine Verordnung gegeben, die auf ihre physischen Bedürfnisse abzielte: Einmal alle 1,5 Stunden (das Smartphone kann ein kleines Signal geben) wollte sie sich folgende nach innen gerichteten Fragen stellen: „Wie geht es mir gerade? / Was brauche ich jetzt?“ und dem Ergebnis dann auch angemessen nachgeben. Das kann bedeuten: Ein Glas Wasser zu trinken, eine Dehnübung zu machen, einmal kräftig zu lüften und dabei tief durchzuatmen, oder, wenn es möglich ist, ein Power-Nap zu machen etc.
Aber damit immer noch nicht genug! Es gibt noch einen besonders wichtigen Aspekt, der unsere Resilienz stärkt oder, sofern er fehlt, eben auch schwächen kann: Die Sinngebung. Diese ist dann gegeben, wenn wir im Einklang mit unseren persönlichen Werten leben – und das auch im beruflichen Umfeld.
Für die junge Marketing-Spezialistin mit dem überhohen Score bei „Verantwortung übernehmen“ war ein wichtiger Wert die angestrebte „Perfektion“ oder wie wir es im Coaching positiver benannten „hohe Qualität“, unter anderem deshalb glaubte sie ja, alles selbst machen zu müssen.
Wenn also in dem System, in dem diese Person arbeitet, die Qualität aufgrund von Effizienzsteigerungen und Einsparungen sinkt, so wird ihr das großen Stress bereiten und das Abgeben der Verantwortung erschweren. Um diesen Stress zu reduzieren, kam sie nach allem Arbeiten an sich selbst nicht mehr umhin, das System an sich auf kluge Weise zu „challengen“, um herauszufinden, ob es sich vielleicht doch in Richtung ihres wichtigen Wertes bewegen lässt. Das kann durch ein Gespräch mit dem Chef geschehen, in dem der Anspruch an Projekte und deren Priorisierung festgelegt wird. Das können Gespräche mit Kollegen und Netzwerkarbeit mit Stakeholdern im Unternehmen sein, um Schulterschluss herzustellen und zusätzliche Hebel in Bewegung zu setzen.
Sie hat sich mit einer gut ausgearbeiteten Präsentation und eigenen Lösungsvorschlägen einen Termin bei ihrem Chef und zwei weiteren Stakeholdern geholt. Sie schilderte ihre eigenen Ansprüche und zeigte auf, was dementsprechend machbar sei und wessen Unterstützung sie sich vorstellte. Unabhängig davon, wie das Meeting schließlich ausging, fühlte sie sich dadurch sofort dem System gegenüber nicht mehr ohnmächtig. Sie verließ die Opferrolle. Sie gewann allein dadurch ein Stück Selbstwirksamkeit zurück, dass sie aktiv wurde, auch das übrigens ein Baustein zur Resilienzstärkung.
In Ihrem Fall ging die Selbstwirksamkeits-Erfahrung jedoch noch weit darüber hinaus: Die Führung nahm viele ihrer Bedenken im Hinblick auf den drohenden Qualitätsverlust ernst und fand ihre Verbesserungsvorschläge gut. Nicht nur, dass sie vieles davon umsetzen konnte, es führte vielmehr auch dazu, dass sie stärker wahrgenommen und öfter einbezogen wurde.
Sollte all das jedoch in einem vergleichbaren Fall keine Veränderung im System herbeiführen, dann dürfte sich die betroffene Person mit Recht fragen, ob es letztlich gar keine Frage der eigenen Resilienz, sondern eher eine Frage der eigenen Lebensfreude ist, die sie in dieser Umgebung nicht finden wird.
© C. Barth Frazzetta
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