Dr. Peter Schwarzer
Head Coach Business & Career Impact
Remote-Arbeit in dem Ausmaß, in dem wir sie jetzt erleben, begann während der COVID-19-Krise als Notfallmaßnahme, um Unternehmen am Laufen zu halten. Im Laufe der Zeit geschah dann etwas Interessantes: Ein Tool zur Bewältigung eines Notfalls hat sich in einen Lackmus-Test dafür verwandelt, der misst, ob eine Organisation in der (neuen) Normalsituation ein guter Arbeitgeber ist.
Homeoffice ist zu einem wichtigen Thema geworden. Es gibt sogar ein ganzes Forschungsinstitut mit dem treffenden Namen „Working From Home Research“.
Je nachdem, wen man fragt, ist der explosionsartige Anstieg von Homeoffice-Arbeit eine befreiende Kraft oder der Anfang vom Ende.
Ganz unabhängig davon ist es eine Tatsache, dass Homeoffice-Arbeit in welcher Form auch immer bestehen bleiben wird.
Aus diesem Grund planen US-Arbeitgeber ein Hybridmodell mit zwei Tagen Homeoffice — Arbeitnehmer wollen jedoch mehr Homeoffice-Zeit1 . Ich glaube allerdings, dass der Fokus auf die Anzahl der Tage, an denen wir von zu Hause aus arbeiten sollten oder könnten, nicht die grundlegende Frage beantworten wird, nämlich die, wie Homeoffice am besten funktioniert. Dazu ein kurzer Blick auf einige Zahlen.
Erstens ist Homeoffice für die meisten Menschen ohnehin eine akademische Frage, denn beispielsweise in den Vereinigten Staaten können über 66% der Jobs nicht von zu Hause aus erledigt werden2 . Mehr Effizienz ist auch nicht gegeben, ganz gleich, was wir über die Frage lesen, ob Menschen produktiver sind, wenn sie im Homeoffice sitzen (sofern sie überhaupt eines haben). In vielen Umfragen haben Mitarbeitende zwar gesagt, sie seien produktiver im Homeoffice, aber jetzt, wo die Daten vorliegen, scheint das im Durchschnitt nicht der Fall zu sein3 . Gleichzeitig muss man auch feststellen, dass verschiedene Studien unterschiedliche Ergebnisse zeigen. Außerdem gibt es signifikante Unterschiede in der Wahrnehmung. Nur 12 % der Manager:innen geben an, dass sie glauben, ihre Mitarbeitenden arbeiteten im Homeoffice produktiv. Fragt man die Mitarbeitende, halten sich 87 % für produktiv4. Beide können nicht Recht haben. Der Punkt ist: die Antwort auf die Frage der Produktivitäts-steigerung ist weniger eindeutig, als viele bisher dachten.
Ganz gleich, wie man zum Thema Produktivität im Homeoffice steht, fragt man Menschen nach den Vorteilen, die sie im Arbeiten von Zuhause sehen, antworten sie nicht mit „mehr Produktivität“. Die genannten Vorteile sind viel komplexer und zudem eine Frage der Perspektive. Deswegen ist ein Feilschen um die Anzahl der Homeoffice-Tage – sowohl für Manager:innen als auch für Mitarbeitende – der falsche Weg.
Auf die Frage, was die Vorteile von Office-Arbeit sind, gaben Mitarbeitende weltweit Folgendes an:
Wenn sich ein Muster abzeichnet, ist es der Wunsch nach sozialer Interaktion – auch mit den Vorgesetzten –, der die Arbeit im Büro attraktiv macht. Der menschliche Wunsch nach Gemeinschaft wurde noch deutlicher, als die Forschenden fragten, wo genau Menschen dann arbeiten, wenn sie nicht im Büro sind.
Weit über 50 % der Männer antworteten, dass sie entweder in einem öffentlichen oder Co-Working-Bereich oder im Haus eines Freundes/ Familienmitglieds arbeiteten.
Weniger als 35 % der Frauen arbeiteten während ihrer Homeoffice-Tage nicht zu Hause. Das wirft für mich die Frage auf, ob dies ein weiteres Symptom dafür ist, dass Frauen im Durchschnitt mehr Haus- und Familienaufgaben übernehmen6. Das ist jedoch ein Blogbeitrag für einen anderen Tag.
Auf der anderen Seite lassen sich die Vorteile von Homeoffice-Arbeit wahrscheinlich in zwei Kategorien einteilen: Geld- oder Zeitersparnis und mehr Kontrolle. Basierend auf derselben weltweiten Umfrage zum Thema Homeoffice-Arbeit identifizieren Arbeitnehmer:innen Folgendes als Vorteile des Homeoffice:
Sie sagten weniger zu Produktivität und/oder Effizienz. Weiterhin interessiert mich, welche Vorteile die Befragten wirklich in weniger Besprechungen und individualisierter Ruhezeit sehen. Natürlich kann man argumentieren, dass die eingesparte Zeit beim Pendeln die Produktivität erhöht, aber wir können nicht sicher sein, wie viele Befragte ihre bisherige Pendelzeit zur Arbeit genutzt haben oder doch zum Ausschlafen, mehr Zeit zum Frühstücken usw. - dasselbe gilt auch für Geldeinsparungen durch weniger pendeln - auch die führen nicht zwangsläufig zu einer Produktivitätssteigerung.
Hilfreich scheinen hier eher weniger klinische Faktoren. Wir wussten ja bereits vor Corona und der intensiven Diskussion über Burnout vom direkten Zusammenhang zwischen Zufriedenheit am Arbeitsplatz und Produktivität7. Weniger Pendeln reduziert den Stress und ermöglicht es den Menschen, die gewonnene Zeit besser zu verbringen. Das kann die Zufriedenheit steigern und in der Folge vielleicht tatsächlich die persönliche Produktivität steigern. Außerdem führt es möglicherweise zu einer besseren Gesundheit und anderen positiven Nebenwirkungen, von denen Arbeitgeber ebenfalls profitieren.
Leider zeigen neue Untersuchungen jedoch auf, wie das eine das andere aufheben kann. Isoliert von anderen Menschen zu arbeiten, ist kontra-produktiv für unsere mentale Gesundheit8. Kein Wunder also, dass so viele Menschen ihre Homeoffice-Tage im co-working Space verbringen.
Allerdings können wir Mitarbeiter:innen auch nicht völlig isoliert von ihrer Organisation betrachten. Beides ist miteinander verflochten und es scheint, dass Homeoffice-Arbeit nicht immer das Allheilmittel ist, als das es manchmal dargestellt wird.
Meine Schlussfolgerung ist, dass Manager:innen und Mitarbeitende von Organisationen, die Probleme damit haben, das Thema Homeoffice anzupacken, aufhören sollten, Tage zu zählen. Vielmehr Sinn macht es, unter die Oberfläche zu schauen. Für mich drängen sich zwei Fragen auf.
Erstens: Was genau bringt die Menschen in Ihrem Unternehmen dazu, Flexibilität zu schätzen?
Zweitens: Was wollen Mitarbeiter:innen kontrollieren?
Legen wir den Blick zunächst auf eine unbequeme Tatsache. Für einige liegt der Wert von Homeoffice darin, dass sie so tun können als würden sie arbeiten. Allerdings haben diese Leute genau das auch schon im Büro geschafft. Jetzt haben sie weniger Hürden und mehr Möglichkeiten, da das „Beschäftigt“-Symbol in Microsoft Teams nur einen Klick entfernt ist.
In Wirklichkeit genießen aber die meisten Menschen das Homeoffice aus anderen Gründen – nicht wegen der Möglichkeit zu faulenzen. Alle, die zum Beispiel Kinder großziehen und arbeiten, sei es als Alleinerziehende oder als Paar mit Doppelkarriere, wissen um die Bedeutung von Flexibilität. Es gibt viele weitere Gründe, die Arbeitsziet-Flexibilität zu einem entscheidenden Faktor für unser Leben zu machen, wie z.B. alternde Eltern, eine Partner:in oder Verwandte mit Gesundheitsproblemen, eigene Gesundheitsprobleme und gelegentlich auch positive Dinge wie eine Einladung zum Abendessen, eine Weiterbildung, ein Hobby usw.
Es wäre interessant, Daten darüber zu erheben, welche Organisationen dies nicht für legitime Gründe halten. Nehmen wir mal an, es bestünde Einigkeit darüber, es sei notwendig, Menschen aus den oben genannten Gründen mehr Flexibilität am Arbeitsplatz zu gewähren. Was wäre also das Problem?
Eine Hypothese besagt, dass das Homeoffice es leichter macht, die Kontrolle über unsere Zeit auszuüben, ohne dass andere darüber urteilen. Wenn Vorgesetzte oder die Kolleg:innen zum Beispiel nicht sehen, wie ich die Kinder von der Schule abhole, und nicht merken, dass ich die verlorene Zeit nach der regulären Arbeitszeit ausgleiche, ist es einfacher, diese Pause einzulegen. Dann bleibt aber doch die Frage: Was sagt diese Angst vor dem Urteil anderer über dich selbst aus und/oder die Organisation?
Es gibt eine weit verbreitete Geschichte über Präsident Kennedy, der die NASA besuchte und einen Hausmeister traf, der einen Besen trug. Auf die Frage des Präsidenten, was er tue, antwortete der Hausmeister: „Ich helfe dabei, einen Mann auf den Mond zu bringen.“ Diesem Hausmeister war vollkommen bewusst, auf welches Ziel NASA und ihre Mitarbeiter:innen hinarbeiteten.
Die Herausforderung für Manager:innen besteht darin, herauszufinden, in welcher Weise Homeoffice-Arbeit für die Ziele ihrer Organisation geeignet ist. Mitarbeiter.innen stehen genau vor der gleichen Herausforderung und müssen kompromissbereit sein.
Den Fokus auf Ergebnisse statt auf Prozesse zu verlagern, ist nicht nur für Manager:innen eine Herausforderung. Der Gedanke, dass Kolleg:innen und/oder Vorgesetzte dich verurteilen, weil du ein Kind zum Fußballtraining fährst, sagt auch viel über dein eigenes Glaubenssystem aus. Hast du zum Beispiel selbst früh beigebracht bekommen, dass Menschen, die nicht ununterbrochen und lange arbeiten, nicht fleißig sein können – dann fürchtest du wahrscheinlich, dass andere auch so über dich denken...
Wie kann man also die Homeoffice-Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen und der Organisation unter einen Hut bringen? Wer vor dieser Frage steht, sollte als erstes seine Organisation verstehen. Arbeitest du in einem Umfeld arbeitet, in dem es noch nicht gelungen ist, zu einer ergebnisorientierten Kultur überzugehen? Je nach Antwort, musst du eine Strategie entwickeln.
Ich sage nicht, dass Hybridarbeit die Wurzel allen Übels ist. Im Gegenteil, intelligente Organisationen bemühen sich herauszufinden, auf welche Weise Homeoffice-Arbeit das gesamte Unternehmen verbessern kann. Das erfordert Arbeit, denn es gibt keine einheitliche Lösung für alle. Darin liegt die eigentliche Herausforderung: Was können wir tun, um das herauszufinden?
Coaching, zum Beispiel in unserer crimalin Business & Career Impact Journey, unterstützt dich dabei mehr über deine Organisation, deine Rolle in dieser Organisation und dich selbst als Person herauszufinden. Du kannst Strategien entwickeln, um deine Bedürfnisse klarer zu vermitteln und sie zugleich mit den Bedürfnissen deiner Organisation in Einklang zu bringen.
Coaching kann auch dabei helfen, die Gründe herauszufinden, die deinem Wunsch nach mehr Kontrolle über deine Zeit und deinen Arbeitsplatz zu Grunde liegen. Vielleicht bist du nicht in einer Organisation, die zu dir passt. Denn, die Verweigerung von Homeoffice-Arbeit kann ein Symptom für eine schlechte oder nicht zu dir passenden Organisationskultur sein. Allerdings macht Homeoffice-Bewilligung per dein Unternehmen noch nicht zu einem der besten Arbeitgeber. Es kann nicht schaden, deine Manager:innen zu fragen, welche triftigen Gründe für die eingeschränkten Homeoffice-Optionen sie haben.
Wenn du als Manager:in Probleme mit Homeoffice-Arbeit hast, kann Coaching zu Erkenntnissen über die wahre Natur deiner Bedenken führen. Führungskräfte-Coaches können dich ebenfalls darin unterstützen, Dir über deine Verantwortlichkeiten und die Verantwortlichkeiten deines Teams klar zu werden und dies freundlich, aber deutlich zu kommunizieren, damit alle für die Mission deines Unternehmens zusammenarbeiten.
Was ist das Äquivalent zur „Mann zum Mond schicken“-Geschichte in deiner Organisation? Wie kannst du als Führungskraft sicherstellen, dass deine Teammitglieder die Frage „Was machen Sie hier?“ mit Stolz beantworten können — zum Beispiel für den Fall, dass der Präsident zu Besuch kommt....
Find es heraus, komm mit auf unsere crimalin Business & Career Impact Journey
Quellen:
1 Barrero, Jose Maria, Nicholas Bloom, and Steven J. Davis, 2021. “Why working from home will stick,” National Bureau of Economic Research Working Paper 28731. Updated September 2023. Barrero (2023)
2 Parker, Kim, About a third of U.S. workers who can work from home now do so all the time. Pew Research Center March, 2023.
3 Cevat Giray Aksoy et al., Working from Home Around the Globe: 2023 Report, WFH Research, June 28, 2023. Giray (2023)
4 Hybrid Work Is Just Work. Are We Doing It Wrong? Work Trend Index Special Report, September 2022.
5 Giray (2023)
6 Survey of Workplace Attitudes and Arrangements, WFH Research June 2023.
7 Bellet, Clement and De Neve, Jan-Emmanuel and Ward, George, Does Employee Happiness have an Impact on Productivity? (October 14, 2019). Saïd Business School WP 2019-13.
8 Alex Moshakis, Stuff They Don’t Tell You — The challenges of working from home. WePresent, October 25, 2023.
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